lifeline e.V. schließt sich der Aktion »Nein zu einem Europa der Haft- und Flüchtlingslager!« von Pro Asyl (http://aktion.proasyl.de) an und fordert die EU-Kommission dazu auf, den Schutz der Menschenrechte in den Mittelpunkt der EU-Migrationspolitik zu stellen.
Missachtung der Kinderrechtskonvention
Im Mittelpunkt des New Pact on Migration and Asylum steht ganz deutlich das Interesse eines beschleunigten Ablehnungs- und Abschiebungsmanagements, und nicht der Schutz der Menschenrechte. Besonders bedenklich ist aus Sicht von lifeline e.V. die Missachtung der Kinderrechtskonvention, die Kinder unter 18 Jahren unter besonderen Schutz stellt.
So sieht der New Pact on Migration and Asylum die Möglichkeit von schnellen Asylgrenzverfahren vor, die das reguläre Asylverfahren ersetzen. Diese sollen für Menschen einschließlich Kinder über 12 Jahren aus Herkunftsländern, deren Anerkennungsquote im Durchschnitt der EU-Staaten unter 20 % liegt, verpflichtend sein.
„Diese Grenze von 20% ist willkürlich gezogen. Das Herkunftsland ist kein Indiz gegen eine individuelle Verfolgung. Aus Ländern, die unter dieser Quote liegen, kommen komplexe Fälle, die eine genaue und keine beschleunigte Betrachtung brauchen.“ (Pro Asyl)
Mitgliedstaaten können darüber hinaus entscheiden, das Grenzverfahren auf fast alle Asylsuchenden auszuweiten (Art. 41 Abs. 1). Damit droht das Grenzverfahren in manchen Mitgliedstaaten zum Standardverfahren zu werden.
Zudem sieht der Pakt eine „Fiktion der Nicht-Einreise“ (s. Pro Asyl) (Art. 4 i.V.m. Art. 6 Abs. 3) vor: Das Screening-Verfahren soll in der Regel fünf Tage und in Ausnahmefällen zehn Tage dauern. Im Extremfall könnten Schutzsuchende bis zu 9 Monaten im Grenzverfahren verweilen. Währenddessen gelten die betroffenen Personen als nicht eingereist. Diese Fiktion der Nicht-Einreise ist nur unter erheblicher Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Unterbringung unter Haftbedingungen aufrecht zu erhalten.
Diesem beschleunigten Grenzverfahren sollen auch Kinder über 12 Jahre (Art. 41 Abs. 5) unterworfen werden: Vom Asylgrenzverfahren sind explizit unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Minderjährige unter 12 Jahren samt deren Familien ausgenommen. Kinder über 12 Jahre würden demnach diesem Grenzverfahren unterworfen werden. Dieses Verfahren kann aufgrund der zu erwartenden Haftbedingungen aber nicht kindgerecht ausgestaltet werden.
Dies widerspricht der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, in der Personen unter 18 Jahren als Kinder definiert und unter speziellen Schutz gestellt werden.
Es soll zudem nur „falls relevant“ (Art. 9 Abs. 2) geprüft werden, ob sich Personen in einer schutzbedürftigen Lage befinden (zum Beispiel Opfer von Folter sind oder besondere Aufnahmebedürfnisse im Sinne der Aufnahmerichtlinie haben).
Darüber hinaus soll zukünftig – selbst bei Durchreise – verpflichtend das Konzept des sicheren Drittstaates angewendet werden (Art 45). Und für die Einordnung als sicherer Drittstaat soll nicht mehr zwingend erforderlich sein, dass in dem betreffenden Staat die Möglichkeit zur Erlangung von Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) besteht (Art. 45 Abs. 1 lit. e).
Abkehr von internationalen Menschenrechtsabkommen
Die Absicht, internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Rechte von Geflüchteten zu unterlaufen, wird deutlich (Kinderrechtskonvention, Genfer Flüchtlingskonvention). Darüber hinaus kann dieses Verfahren auch nicht die Rechte garantieren, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben sind: Wie das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art 5), das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6) und das Recht auf wirksame Beschwerde (Art 13). So haben die Schutzsuchenden nicht den notwendigen Zugang zu Rechtsberatung und –vertretung, der entscheidend für rechtsstaatliche Verfahren ist. Es ist außerdem nur eine Instanz bei Klageverfahren in Grenzverfahren vorgesehen. Die Klage soll keine automatisch aufschiebende Wirkung haben (Art. 53 Abs. 9, Art. 54 Abs. 3 lit. a neuer Entwurf für eine Asylverfahrensverordnung).
All dies widerspricht auch den menschenrechtlichen Prinzipien der Progressivität und des Verbots des Rückschritts. Diesen zufolge darf nicht hinter den bereits erlangten Schutzstandard zurückgefallen werden.
Menschenrechte müssen im Mittelpunkt der Migrationspolitik stehen
Bei den Asylgrenzverfahren müssen menschenrechtliche Erwägungen im Zentrum stehen. Aus Menschenrechtsperspektive sind Verfahren abzulehnen, in denen Schutzsuchende, und insbesondere Kinder, pauschal Freiheitsentziehungen unterworfen werden. Umso mehr wenn dies geschieht, ohne ihre individuellen Fluchtgründe zu prüfen.
Statt sich der Herausforderung zu stellen, den menschenunwürdigen Bedingungen wie sie in den Flüchtlingslagern Griechenlands herrschen, und dem Ertrinken unzähliger Schutzsuchender im Mittelmeer ein Ende zu setzen, fährt die EU Kommission mit der Verlagerung der Migrationspolitik an die Außengrenzen und in vermeintlich sichere „Partnerstaaten“ außerhalb der EU fort.
Mit einer derartigen Migrationspolitik wird sich die EU international ihre Glaubwürdigkeit als „Hüterin der Menschenrechte“ vollends verspielen. Die Mitgliedsstaaten würden entgegen ihrer bereits eingegangenen Verpflichtungen im Rahmen des internationalen Menschenrechtsschutzes handeln.
Menschen und besonders Kinder und ihre Familien haben ein Recht auf ein individuelles und faires Asylverfahren. Der Versuch der EU Kommission, mit diesem Pakt Menschen möglichst gar nicht erst in den Genuss des Schutzes innerhalb der EU kommen zu lassen, indem sie künstlich „nicht eingereist“ sind, ist schändlich.