Der schleswig-holsteinische Landtag hat in erster Lesung den Entwurf für ein Integrations- und Teilhabegesetz für Schleswig-Holstein beraten und an den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen. lifeline wurde zu einer Stellungnahme aufgefordert, den Text gibt es hier (pdf) als Download oder nachfolgend in diesem Beitrag. Der entworfene Gesetzestext ist hier (pdf) zu finden, weitere Stellungnahmen gibt es hier auf der Website des Landtages.
Stellungnahme Gesetzesentwurf zur Integration und Teilhabe (Integrations- und Teilhabegesetz für Schleswig-Holstein – IntTeilhG) Drucksache 19/1640
Sehr geehrte Mitglieder des Innenausschusses,
vielen Dank für die Möglichkeit, zum Entwurf des Integrations- und Teilhabegesetzes Stellung zu nehmen.
lifeline wurde 2004 als Vormundschaftsverein des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein gegründet. Ziel des Vereins ist die Wahrung der Rechte von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten sowie die Durchsetzung der UN-Kinderrechtskonvention auf allen Ebenen. Neben der originären Aufgabe des Vereins, der Schulung und Begleitung von ehrenamtlichen Vormünder*innen (gefördert durch das Sozialministerium des Landes Schleswig-Holstein, die UNO-Flüchtlingshilfe und den Paritätischen), gibt es zwei weitere Projekte. Das Projekt „Anker Werfen!“ zielt auf unbegleitete minderjährige und junge erwachsene Geflüchtete ab. Diese lernen Möglichkeiten der Partizipation und der Teilhabe in der deutschen Gesellschaft kennen und erhalten Unterstützung für das Führen eines selbstbestimmten Lebens in Deutschland (gefördert durch die Aktion Mensch, terre des hommes und die Software-AG-Stiftung). Das Projekt „Kompass“ (gefördert durch die Lanfeshauptstadt Kiel) bietet ein asyl- und aufenthaltsrechtliches Clearing und Begleitung im Asyl- bzw. aufenthaltsrechtlichen Verfahren an. Auch hier ist die Zielgruppe der unbegleiteten minderjährigen und der jungen erwachsenen Geflüchteten zentral.
lifeline begrüßt das Vorhaben der Landesregierung, ein Integrations- und Teilhabegesetz für das Land Schleswig-Holstein zu erlassen. In der Funktion eines Entwurfes gibt es seitens lifeline noch Verbesserungswünsche, Ideen zu Veränderungen und das Bedürfnis nach Präzisierung.
Teil 1 Allgemeine Bestimmungen
§1 Zweck
Die deutliche und klare Positionierung des Landes Schleswig-Holstein zur Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begrüßen wir. Gleichzeitig befürworten wir, dass die Landesregierung erkannt hat, dass es für eine gelingende Integration und Teilhabe klare Zielformulierungen braucht, bei gleichzeitiger nachhaltiger Förderung auf regionaler und, insbesondere, lokaler Ebene.
§2 Begriffsbestimmung
Die Definition hinsichtlich „Menschen mit Migrationshintergrund“ sollte nach unserer Auffassung statt technisch besser im Rahmen der Landesverfassung bestimmt werden: Entsprechend entscheidet jede*r Einwohner*in selbst, ob sie oder er sich zur Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund zählt (entsprechend Artikel 6, Absatz 1).
Teil 2 Integrationsziele
§3 Grundsatz
Die Beschreibung der Grundsätze halten wir für sinnvoll und notwendig. Bezogen auf den 2. Absatz vertreten wir die Ansicht, dass für die Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten der Zugang zu schulischer Bildung mit Beginn des Aufenthaltes in Deutschland aufgeführt werden muss, entsprechend der gesetzlichen Schulpflicht.
Unter §3 Absatz 2 finden wir ergänzend wichtig, dass zu diesen bedarfsgerechten Maßnahmen der Zugang zu psychologischer und psychotherapeutischer Hilfe, inklusive der Übernahme der anfallenden Dolmetscherkosten, zählt und im Gesetz festgehalten wird.
§4 Sprachförderung
Das Anerkennen, dass das Erlernen der deutschen Sprache von zentraler Bedeutung für einen gelingenden Integrationsprozess darstellt, begrüßen wir sehr.
§5 Bildung
Die aufgeführten Ziele finden wir wichtig und gut.
Es fehlt jedoch die Verpflichtung, insbesondere im Bereich der chancengerechten Elternbeteiligung am Bildungsweg der Kinder und Jugendlichen, eine Konkretisierung, wie diese erreicht werden soll. Hier sollte unserer Meinung nach auf der Einsatz von Dolmetschern verpflichtend sein wenn die Verständigung andernfalls nicht optimal gewährleistet werden kann. Dies sorgt auf der einen Seite dafür, dass die Eltern auch bei sprachlichen Hürden an den Entscheidungen für ihre Kinder vollumfänglich beteiligt werden können und sorgt auf der anderen Seite dafür, dass Kinder nicht in die unangemessene Rolle eines sprachlichen Mittlers zwischen Schule und Elternhaus rutschen.
§6
Die im Entwurf genannten Ziele und Vorhaben halten wir für richtig und unterstützenswert. Die Anerkennung, dass Menschen mit Migrationshintergrund ein wichtiges Potential für die heimische Wirtschaft darstellen, sollte sich in einer Vorrangigkeit der Förderung von Beruf, Ausbildung und Beschäftigung vor ausländerrechtlichen Belangen niederschlagen. Insbesondere wenn es um ausreisepflichtige Menschen geht, die durch ihre Tätigkeit ökonomisch unabhängig agieren oder sich in einer Ausbildung, gleich welcher Art, befinden. Die Wichtigkeit dieses Punktes für eine gelingende Integration kann besonders im Bereich des Arbeits- bzw. Ausbildungsplatzes kaum überschätzt werden. Umso tragischer, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen oder andere ausländerrechtliche Vorgänge zu einer ausgeprägten Zurückhaltung auf Seiten der potentiellen Arbeit- bzw. Ausbildungsgeber führen.
Gleichzeitig möchten wir an dieser Stelle die Frage aufwerfen, ob nicht angesichts erreichter Ausbildungsabschlüsse und bevorstehender oder gar erreichter wirtschaftlicher Selbständigkeit auf die Pflicht zur Ausreise in vielen Fällen verzichtet werden könnte.
§7 Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, Antirassimus
Grundlegend stimmen wir dem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu, es ist für uns jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb im Integrations- und Teilhabegesetz gesondert darauf hingewiesen wird, dass sich alle Menschen an die Gesetz zuhalten haben und die durch das Grundgesetz und die Landesverfassung geschützten Grundrechte anzuerkennen sind.
Die unter Absatz 2 genannten Grundsätze im Hinblick auf Rassismus und Diskriminierung halten wir für wichtig und gut. Unklar ist jedoch, an wen sich die Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote im Themenfeld Antidiskriminierung richten sollen.
Teil 3 Aufgaben und Maßnahmen
§8 Koordinierung der Integration
Die steuernde, koordinierende, beratende und unterstützende Rolle der Landesregierung hinsichtlich der Integration und der Integrationsmaßnahmen halten wir für gut und richtig. Es fehlt unserer Ansicht nach der Hinweis auf die Unterstützung und die Rolle des Ehrenamtes. Es bleibt auch unklar, ob die angebotene Unterstützung auch ehrenamtlichen Initiativen (bspw. „runden Tischen“ u.ä.) zugute kommen soll. In vielen Fällen ist eine gelingende Integration auf das Engagement ehrenamtlich tätiger Menschen angewiesen, was der Landesregierung bekannt sein sollte.
§9 Integrationsfolgeabschätzung
Diese Absicht begrüßen wir ausdrücklich. Weiterhin raten wir dazu, die Rolle des Zuwanderungsbeauftragten der Landesregierung zu stärken und ihm eine besondere Rolle in diesem Vorhaben einzuräumen. Dazu soll im Gesetz festgeschrieben werden, dass der Zuwanderungsbeauftragte der Landesregierung entsprechend personell ausgestattet wird.
§10 Zuwanderungs- und Integrationsmonitoring
Die Idee des Monitorings finden wir gut und hilfreich. Die Zeitabstände von anfangs zwei Jahren halten wir allerdings für zu großzügig bemessen. Eine kleinschrittige Auswertung und einer daraus resultierenden Bedarfsanalyse sollte nach unserer Auffassung in kürzeren Zeitabschnitten erfolgen. Es ist unserer Meinung nach hilfreich, wenn im Bericht die Bevölkerungsentwicklung, der Stand der Integration und Teilhabe sowie die integrations- und teilhabespezifischen Strukturen und Maßnahmen nicht nur nach Formen der Zuwanderung differenziert werden. Notwendig wäre eine Aufschlüsselung nach Geschlecht, Alter und Lebenssituation (z.B. unbegleitet und minderjährig; volljährig aber allein ohne Familie lebend; junge, alleinerziehende Mütter), um möglichst genaue Kenntnisse über den realen Bedarf zu erhalten und entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können.
§11 Spezifische Maßnahmen
Die benannten Maßnahmen halten wir für sinnvoll und notwendig.
Zusätzlich sollte eingefügt werden:
– Es sollte angestrebt werden, dass die Zusammensetzung des Öffentlichen Dienstes auf allen
Ebenen der Zusammensetzung der Bevölkerung entspricht.
– Es sollte angestrebt werden, die Zahl der Einbürgerungen durch Werbung und direkte Anspra-
che der möglichen Antragsteller*innen so anzuheben, dass die Quote mehr als das Doppelte des
Bundesdurchschnitts beträgt.
Grundsätzlich sollte im Integrations- und Teilhabegesetz festgeschrieben werden, dass Maßnahmen von freien Trägern, die diese Ziele fördern, langfristig gefördert werden. Das
bedeutet: Außer jährlichen Bewilligungen von Mitteln muss es langfristige Zuwendungsverträge
des Landes geben, die Trägern und Mitarbeiter*innen eine längerfristige Planung ermöglichen. Bei
jährlicher Laufzeit von Projekten und der Unklarheit über eine weitere Finanzierung wechselt oft die Belegschaft. Dadurch kann kein stetiger Erfahrungsaufbau stattfinden und auch Fort- und Weiterbildungsangebote können nur selten ihre ganze Wirkung entfalten.
Bezogen auf die Beratung sollte im Gesetz verankert werden, dass jeder Mensch mit Migrationshintergrund das Recht hat, eine qualifizierte Beratung im Rahmen der „Migrationsberatung Schleswig-Holstein“ wahrzunehmen. Es sollte
speziell darauf hingewiesen werden, dass alle Neu-Einwanderer unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status das Recht auf eine gedolmetschte (tariflich bezahlte) Start-Beratung haben. Diese Beratung soll von unabhängigen Stellen mit ausgewiesener Expertise gewährleistet werden. Dies lässt sich effektiv nur durch entsprechend langfristig geförderte Beratungsstellen gewährleisten.
Teil 4 Interessenvertretung
§12 Teilhabe in Gremien
Die Schaffung von Teilhabe in Gremien halten wir für gut und richtig. Wir wünschen uns aber eine konkretere Antwort auf die Frage, in welcher Form die Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund gewährleistet werden soll.
§13 Integrationsbeirat
Die Schaffung eines solchen Gremiums halten wir für hilfreich und sinnvoll. Als Verein, der sich besonders um die Belange und Bedürfnisse unbegleiteter Minderjähriger kümmert, weisen wir darauf hin, dass auch diese spezielle Personengruppe im Integrationsbeirat vertreten sein soll.
Teil 5 Aufgaben der Kommunen
§14 Aufgaben der Kommunen
Die Bedeutung der Kommunen im Hinblick auf eine gelingende Integration gesondert im Gesetz darzustellen halten wir für richtig. Die praktische Umsetzung der Integrationsmaßnahmen erfolgt letztendlich durch die Menschen vor Ort, also auf lokaler und kommunaler Ebene.
Für lifeline e.V.
Konrad Paul
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