Rechtsverletzungen bei unbegleiteten geflüchteten Kindern und Jugendlichen

Unbegleitete Minderjährige haben die gleichen Rechte wie alle anderen Kinder und Jugendlichen und sind zwingend im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe unterzubringen. Während gerade sie als vulnerable Gruppe auf den umfangreichen Leistungskatalog des SGB VIII angewiesen sind, sind derzeit akute Einschränkungen ihrer Rechte zu beobachten. Das Kindeswohl ist für sie nicht mehr gewährleistet.

Im Folgenden werden die unterschiedlichen Rechtsverletzungen in Kürze dargestellt. Die unterzeichnenden Organisationen fordern die Bundesregierung, die Bundesländer und die Kommunen dazu auf, dafür zu sorgen, dass diese und weitere Rechtsverletzungen geflüchteter Kinder und Jugendlicher in Zukunft unterbunden werden.


Unterbringung und Versorgung: Massiv eingeschränkte Rechte in der Ankommensphase

Minderjährige Geflüchtete werden zunächst vorläufig in Obhut genommen. In diesem Verfahren wird die örtliche Zuständigkeit geprüft und ggf. bundesweit verteilt. Die Wartezeiten für die dafür notwendigen Erstgespräche sind in Ballungsgebieten jedoch gerade sehr lang, teils bis zu acht Monaten. Damit verbleiben junge Menschen über Monate in Ausnahme-Strukturen. Sie haben in dieser Zeit nur eine rechtliche Notvertretung, jugendhilferechtliche oder psychische Bedarfe werden nicht geprüft, und es findet nur eine rudimentäre Betreuung statt. Zudem werden sie in dieser Zeit nicht für die Schule angemeldet. Tausende Kinder und Jugendliche sind somit über Monate in ihrem Recht auf Bildung massiv eingeschränkt, ihre Schulpflicht wird verletzt – dies kann gravierende Folgen für ihre weitere Entwicklung haben.


Unterbringung und Versorgung: Diskriminierende Standard-Absenkungen im SGB VIII für Unbegleitete

Auch über die Phase des Ankommens hinaus ist eine angemessene, das Kindeswohl berücksichtigende Versorgung, Betreuung und Begleitung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) derzeit an vielen Orten Deutschlands nicht mehr gewährleistet. Viele Bundesländer reagierten auf den massiven Einrichtungs- und Personalmangel bereits mit Absenkung der im SGB VIII festgelegten Standards. Teilweise werden Kinder und Jugendliche in Gemeinschaftsunterkünften und Turnhallen untergebracht, ohne angemessene Betreuung und ein Mindestmaß an Privatsphäre. Diese Diskriminierung der jungen geflüchteten Menschen ist nicht hinnehmbar und unvereinbar ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus der UN-KRK und dem Grundgesetz, sie liefert zudem eine Blaupause, auch in anderen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe Standards herabzusetzen. Leistungen des SGB VIII stehen allen Kindern und Jugendlichen zu, die sich in Deutschland aufhalten. Diese Leistungen beinhalten auch Hilfen für junge Volljährige. Sehr häufig werden bestehende Jugendhilfemaßnahmen zum 18. Geburtstag junger Geflüchteter beendet, obwohl bei entsprechendem Bedarf ein Anspruch auf Hilfen für junge Volljährige besteht.


Vormundschaften: Völlige Überlastung verhindert angemessene Vertretung

Zentral für die Wahrung der Rechte junger Geflüchteter ist die adäquate Vertretung durch geeignete Vormundinnen. Vormundschaftsvereine und Amtsvormundinnen sind seit Monaten jedoch vielerorts völlig überlastet. Die ohnehin realitätsferne gesetzliche Fallobergrenze von 50 Mündeln pro Vormund wird nicht mehr eingehalten. Vormundinnen sind aber gerade in den ersten Monaten existentiell, z.B. für die Stellung eines Asylantrags, die hohe Fachkenntnis und Zeitkapazitäten voraussetzt. In der aktuellen Situation kommt es immer wieder zu fatalen Versäumnissen der Vormundschaft in Bezug auf Asyl- und aufenthaltsrechtliche Fragen. Vormundinnen und ihre Mündel müssen die Möglichkeit zur Information durch fachkundige Beratungsstellen erhalten. Es sollte nicht vorausgesetzt werden, dass Vormund*innen selbst über dieses Wissen verfügen, vielmehr müssen sie gut angebunden werden an asyl- und aufenthaltsrechtliche Fachberatung. Berichte, dass Amtsvormünder selbst in dringenden Notfällen und bei akuter Kindeswohlgefährdung nicht erreichbar sind, häufen sich.


Beendigung von Inobhutnahme & Alterseinschätzung: Fehlende Standards, fehlender Rechtsschutz

Im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme müssen Jugendämter die Minderjährigkeit prüfen. Immer häufiger wird Jugendlichen nach einer sehr langen Wartezeit die Inobhutnahme verweigert, da sie als vermeintlich volljährig eingeschätzt werden. Das passiert i.d.R., wenn die Jugendlichen ihr Alter nicht aufgrund von Identitätsdokumenten nachweisen können oder diese nicht anerkannt werden. Nach übereinstimmendem Forschungsstand gibt es allerdings keine Methode, das Alter zweifelsfrei zu bestimmen. Für die Altersfestsetzung gibt es keine einheitlichen Standards. Sie findet je nach Jugendamt unter sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen statt. Wird Volljährigkeit festgesetzt, wird die Inobhutnahme beendet, und den jungen Menschen steht kein ausreichender Rechtsschutz zur Verfügung. Der Zugang zum Jugendhilfesystem bleibt Ihnen in vielen Fällen verwehrt, und gesetzlich vorgesehene Hilfen für junge Volljährige werden auch im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme unzureichend geprüft. Junge Menschen finden sich dann in nicht altersgerechten Gemeinschaftsunterkünften wieder, ohne gezielte Unterstützung oder bedarfsgerechte Versorgung.


Abbau von Unterstützungs-und Beratungsstrukturen:

Die Herabsenkung von Standards in der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen geht einher mit einem Abbau von essentiellen Unterstützungsstrukturen durch geplante Finanzkürzungen der Bundesregierung im Bereich der gesamten asyl- und aufenthaltsrechtlichen Beratung, Migrationssozialarbeit und psychosozialer Betreuung. Es ist aber vielmehr notwendig, Strukturen zu erhalten und auszubauen, die Qualifizierung und ergänzende Fachexpertise vermitteln können. Ebenso müssen Arbeitsbedingungen für Fachkräfte attraktiver gestaltet werden und nicht, wie aktuell geplant, durch massive Kürzungen immer prekärer werden.

Unterzeichnende:

BumF – Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V.
Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Jugendhilfe e. V.
Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Flüchtlingsrat NRW e.V.
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Jugendliche ohne Grenzen
lifeline – Vormundschaftsverein im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
terre des hommes Deutschland e.V.