Kinderrechte und die aktuellen Veränderungen in der Verwaltungspraxis bezüglich des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten
In der Kinderrechtskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention, aber auch im Grundgesetz spielen das Recht auf Familieneinheit, das Verbot der Familientrennung, der besondere Schutz der Familie und insbesondere die in der Regel herausragende Bedeutung der Familie für das Kindeswohl eine große Rolle.
Der Familienbegriff ist in den völkerrechtlichen Verträgen und inzwischen auch im deutschen Recht in vielen Rechtsbereichen weiter gefasst als der Personenkreis von Eltern und minderjährigen Kindern. Es zählen mindestens die (minderjährigen sowie volljährigen ) Geschwister in der Regel zum Familienbegriff dazu, oft auch die Großeltern.
Im Aufenthaltsrecht ist der Familienbegriff allerdings auf Eltern und minderjährige Kinder begrenzt. So haben Geschwisterkinder keinen Anspruch auf die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zueinander. Die dadurch provozierten Trennungen von Familien wurden in Schleswig-Holstein durch den “Erlass zum Nachzug von minderjährigen ledigen Kindern die mittelbar einem Geschwisterkind mit Schutzstatus nachziehen” vom 9.3.2020 in den letzten Jahren in der Regel erfolgreich vermieden.
Die Koalition von SPD, Grünen und FDP hatte im Koalitionsvertrag beschlossen, den Familiennachzug zu erleichtern, den Nachzug von Geschwistern zueinander rechtlich zu ermöglichen sowie den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten dem von anerkannten Flüchtlingen rechtlich anzugleichen, und damit der unverhältnismäßigen Ungleichbehandlung und möglicherweise mit höherrangigem Recht nicht vereinbaren Gesetzeslage im deutschen Bundesrecht abzuhelfen. Zuletzt wurde dieses Vorhaben aber offiziell ad acta gelegt.
Im Zuge der aktuell vorherrschenden Meinung, der zufolge Zuwanderung wo irgend möglich massiv begrenzt werden müsse, wird nun der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten immer mehr begrenzt: Plötzlich hält das Auswärtige Amt nun die Auslandsvertretungen an, keine Ausnahmen beim Geschwisternachzug zu machen.
Desweiteren wird nun plötzlich die gängige Praxis , für die Eltern von unbegleiteten minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten, die kurz vor der Volljährigkeit stehen, Sondertermine zu vergeben und sie so aus humanitären Gründen zu priorisieren, damit nicht mit Eintritt der Volljährigkeit der Familiennachzug unmöglich wird, nicht mehr zugelassen. Es werden auf Anweisung des Auswärtigen Amtes keine Sondertermine mehr an Eltern von subsidiär Schutzberechtigten unbegleiteten Minderjährigen wegen drohender Volljährigkeit vergeben. Damit wird für unbegleitete Minderjährige, die einen subsidiären Schutz erhalten haben, der Familiennachzug extrem erschwert um nicht zu sagen unmöglich gemacht. Und das ohne eigenes Verschulden. Die Asylverfahren sowie Verfahren zum Familiennachzug dauern in der Regel insgesamt zwischen zwei und vier Jahren. Somit wäre für Minderjährige, die mit 15 Jahren einreisen der Familiennachzug fast nicht mehr möglich.
Die Minderjährigen, die von den plötzlichen Veränderungen betroffen sind, sind verzweifelt. Nachdem sie jahrelang alles getan haben, was von ihnen verlangt wurde, und nachdem Betreuungspersonen, Beratende und nicht zuletzt auch Sachbearbeiter*innen von Behörden ihnen zugesichert haben, dass der Familiennachzug möglich sei, stehen sie nun plötzlich vor dem Ende eines Traumes. Das Wiedersehen mit ihren Eltern und Geschwistern ist auf einmal in weiter Ferne, möglicherweise wird es nie mehr möglich sein.
Unbegleitete minderjährige Geflüchtete gehören zu den vulnerabelsten Menschen überhaupt. Sie sind besonders schutzbedürftig. Die Kinderrechtskonvention sowie andere völkerrechtliche Verträge sind höherrangiges Recht, und Bundesrecht sollte daraufhin überprüft werden, ob es mit diesem Recht vereinbar ist. Das Kindeswohl ist bei allen Entscheidungen vorrangig zu prüfen. Kinderrechte gelten für alle Kinder gleichermaßen.
Es ist eine Schande, dass ausgrenzende Stimmungsmache in Gesellschaft und bei politischen Entscheidungsträger*innen sich in einem Verwaltungshandeln niederschlägt, das eine der schutzbedürftigsten Personengruppen vom Genuss grundlegender Menschenrechte, wie dem Recht auf Familieneinheit, auf elterliche Fürsorge und familiäre Beziehungen ausschließt.