Landesflüchtlingsräte, PRO ASYL und der
Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. (BumF)
kritisieren Blockade der Bundesregierung.
Flüchtlingsrat SH und lifeline appellieren an Innenminister Grote, sich der Aufnahme von Kinderflüchtlingen aus Griechenland nicht länger zu verschließen.
Im fünften Jahr des
EU-Türkei-Deals harren zehntausende Menschen unter katastrophalen
menschenunwürdigen Bedingungen auf den griechischen Inseln aus. Unter
ihnen sind tausende Kinder und Jugendliche, sie machen mehr als ein Drittel der derzeit rund 41.000 Geflüchteten aus. Mehr als 60 Prozent der Kinder sind unter 12 Jahre alt.
Knapp 15% aller Kinder und
Jugendlichen (etwa 2.000) auf den griechischen Inseln flohen allein oder
sind von ihren Familien getrennt und komplett auf sich allein gestellt.
Viele von ihnen leben schutzlos in Zelten, auf der Straße oder sind
unter dem Vorwand, es sei zu ihrem eigenen „Schutz“, sogar inhaftiert.
Der Zugang zu Betreuung, Bildung und notwendiger (medizinischer)
Versorgung bleibt vielfach verwehrt. Diese Situation verletzt in einem
massiven, teils lebensbedrohlichen Ausmaß die Rechte der Kinder und
Jugendlichen. Ein Großteil von ihnen hat Angehörige in Deutschland.
Blockade des Bundesinnenministeriums
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und die anderen Landesflüchtlingsräte, PRO ASYL und BumF sind empört über die Blockade des Bundesinnenministeriums und fordern, die Aufnahme der Schutzsuchenden von den griechischen Inseln in Deutschland ohne weitere Verzögerung umsetzen.
Sieben Bundesländer – Schleswig-Holstein leider (noch) nicht – und mindestens 15 Kommunen haben öffentlich Plätze für die Aufnahme von geflüchteten und unbegleiteten Kindern und Jugendlichen von den griechischen Inseln angeboten. „Die Aufnahmebereitschaft ist in Deutschland und auch in den 13 Städten und Kommunen Schleswig-Holsteins, die sich als Sichere Häfen für Geflüchtete erklärt haben, also weiterhin hoch“ erklärt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Wer jetzt die Aufnahme verweigere, trage dazu bei, dass die Kinder- und Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen immer weiter andauern. „Kindeswohl und Kindesschutz enden aber nicht an der Landesgrenze. Es ist unsere humanitäre Pflicht, jetzt zu handeln“, stellt Link fest.
In Deutschland und auch in
Schleswig-Holstein haben Jugendhilfeeinrichtungen freie Plätze und
könnten die schutzbedürftigen Kinder und Jugendlichen sofort betreuen.
Eine Vielzahl der festsitzenden Flüchtlingskinder hat auch Angehörige,
die bereits in Deutschland leben und hier im Asylverfahren sind. Ihre
Aufnahme ist kein Gnadenakt, sondern beruht auf einem Rechtsanspruch auf
Familienzusammenführung über die Dublin-Verordnung. Die Verfristung der
Antragstellungen in Griechenland liegt auch an den katastrophalen
Zuständen, die Europa mit dem EU-Türkei-Deal bewusst herbeigeführt hat.
Die Aufnahme von unbegleiteten geflüchteten Kindern und Jugendlichen kann nur ein Anfang sein. Die sogenannten Hotspots müssen umgehend geschlossen werden. „Zum Beispiel ist das Lager auf der Insel Samos 11-fach überbelegt. Auf der Insel leben mit über 7.000 mehr Geflüchtete als Einheimische“, mahnt Martin Link und appelliert einmal mehr an Innenminister Hans Joachim Grote sich der Aufnahme einiger unversorgter Flüchtlingskinder aus Griechenland nicht länger zu verschließen.
Wenn die
Menschenrechte auch an den europäischen Außengrenzen gelten sollen,
braucht es den Zugang zu einem Asylverfahren innerhalb der EU, und
dieser ist im Schlamm und Morast der sogenannten „Hotspots“ nicht
möglich.
Hintergrund:
Anfang November 2019 erklärte der Sprecher der A-Länder der Innenminister_innenkonferenz, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, nach einer Griechenland-Reise, er wolle unter seinen Amtskolleg_innen in den Bundesländern und bei Bundesinnenminister Horst Seehofer dafür werben, etwa über mögliche Sonderkontingente, unbegleitete Kinder und Jugendlichen von den griechischen Inseln in Deutschland aufzunehmen. Konkret will Pistorius bis zu 200 Kinder und Jugendliche nach Niedersachsen holen. Frankreich hat die Aufnahme von 400 Personen zugesagt. Dies ist eine unangemessen geringe Zahl, aber mehr als nichts. Nach Medienberichten hat Bundesinnenminister Seehofer eine Aufnahme von geflüchteten Kindern komplett abgelehnt.
Anfang Dezember 2019 erklärten die Bundesländer Berlin, Niedersachsen und Thüringen in einem Schreiben ihre Aufnahmebereitschaft für geflüchtete unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Griechenland gegenüber Bundesinnenminister Seehofer. Seither haben außerdem die Bundesländer Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Rheinland-Pfalz politisch erklärt, ebenfalls für Aufnahmen bereit zu stehen.
Das Kieler Innenministerium allerdings erteilte dem Appell des Flüchtlingsrates,
einige unbegleitete Kinderflüchtlinge aus Griechenland in
Schleswig-Holstein aufzunehmen, am 16. Dezember eine kategorische
Absage. Das sei eine Angelegenheit der EU.
Ausgehend von einer
Initiative des Potsdamer Oberbürgermeisters Mike Schubert haben in den
letzten Wochen neben Potsdam mindestens 15 Kommunen konkrete
Aufnahmeplätze öffentlich benannt bzw. in Aussicht gestellt, darunter
die Städte Frankfurt (Oder), Düsseldorf, München, Kiel, Teltow und
Freiburg.
Kontakt
Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., T. 0431-735 000, ml(at)frsh.de, www.frsh.de
Mehr: Zum selben Thema siehe auch PEn des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein vom 5.11.2019, vom 3.12.2019, vom 24.12.2019, die Pressemitteilung lifelines vom 10.01.2020 und im Magazin Der Schlepper “Reunit us now” Nr. 1 und Nr. 2.