Gemeinsame Presseerklärung
Asyl-Zentren: Kein Ort für Kinder – kein Ort für Niemanden!
Schleswig-Holsteinische Organisationen unterstützen Kampagne zum Schutz der in Lagern wohnverpflichteten Kinder.
Künftige Bundesregierung dringend zum Handeln aufgefordert.
Anlässlich des Weltkindertages am 20. September richten schleswig-holsteinische Organisationen ihre Kritik auf AnkER-Zentren und Erstaufnahmelager für Geflüchtete: Diese Massenunterkünfte seien kein Ort für Geflüchtete und schon gar kein Ort für Kinder!
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, der lifeline-Vormundschaftsverein für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die Flüchtlingsbeauftragte des Ev. Luth. Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, das Lübecker Flüchtlingsforum, das Medibüro Kiel, das Kindercafé Kiel und die Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten Schleswig-Holstein unterstützen die bundesweite Kampagne „Kein Ort für Kinder“ (www.keinortfuerkinder.de) und fordern von der künftigen Bundesregierung ein, den Aufenthalt für geflüchtete Kinder, Familien und Erwachsene in Erstaufnahmelagern auf maximal vier Wochen zu begrenzen.
AnkER-Zentren und „AnkER-Zentrums-funktionsgleiche Einrichtungen“, wie sie in Schleswig-Holstein heißen, sind insbesondere für Kinder Orte der Perspektivlosigkeit und der Angst – sie gehören abgeschafft. Statt sozialer Isolation und fehlender Partizipation brauchen wir faire Asylverfahren und gleiche Rechte für alle Kinder, die in Deutschland leben.
Rechte von Kindern werden verletzt
Während ihres Asylverfahrens müssen Asylsuchende mittlerweile regelmäßig bis zu 18 Monate – in einigen Fällen bis zu 24 Monate – in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben. Familien müssen bis zu sechs Monate dort leben. In Schleswig-Holstein befinden sich solche Erstaufnahmeeinrichtungen in Neumünster, Rendsburg, Boostedt und Bad Segeberg.
In diesen großen und bisweilen abgelegenen Einrichtungen haben ehrenamtliche Unterstützende i.d.R. keinen Zugang. Die dort Wohnverpflichteten sind vom Rest der Gesellschaft isoliert und unterliegen Restriktionen wie Arbeitsverboten und durchgängiger Anwesenheitspflicht. Kinder können meist weder die Regelschule noch reguläre Kitas besuchen, sind dem Angebot von Lagerschulen anheimgestellt und haben innerhalb der Einrichtungen kaum Platz zum Lernen. Das gilt doppelt unter Pandemiebedingungen.
Gleichzeitig erleben Kinder strukturelle Gewalt in ihrem direkten Wohnumfeld und müssen ggf. Abschiebungen und Polizeieinsätze miterleben. Was gegessen wird, bestimmt der Speiseplan in der Kantine. Heimische Speisen und Kochen auf dem Zimmer: verboten. Selbstbestimmung? Fehlanzeige.
Unterstützung von außen wird verhindert
Wegen der Lage und weil der Zugang restriktiv gehandhabt wird, ist es für unabhängige Organisationen und Freiwillige nahezu unmöglich, die Asylsuchenden zu unterstützen. Damit sind auch die Chancen im Asylverfahren negativ tangiert.
Denn Teil des AnkER-Lager-Konzeptes ist, die Zeit zwischen Ankunft und der Anhörung im Asylverfahren drastisch zu verkürzen. Damit Menschen über erlittene Verfolgung, Gewalt und Demütigungen sprechen können, braucht es jedoch Zeit, Vertrauensaufbau und unabhängige Beratung vor der Anhörung. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, werden entscheidende Erlebnisse, z.B. sexualisierte Gewalt oder spezielle Fluchtgründe von Kindern, aus Scham oder Unkenntnis verschwiegen. Asylanträge werden allzu oft trotz fortbestehender Gefahren im Herkunftsland abgelehnt.
Der Versuch der Bundesregierung, Ankunft und schnelle Abschiebungen räumlich in den AnkER-Zentren miteinander zu verbinden, steht in Widerspruch zu den tatsächlichen Schutzansprüchen der Asylsuchenden. Über der Hälfte der Antragsteller*innen wurde im Asylverfahren ein Schutzstatus zugesprochen. Auch viele zunächst abgelehnte Schutzsuchende bleiben langfristig in Deutschland, da Gerichte falsche Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge korrigieren oder humanitäre und familiäre Gründe gegen eine Abschiebung vorliegen.
Wir fordern:
– Der Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen muss auf wenige Wochen begrenzt werden, damit geflüchtete Kinder, Jugendliche und Erwachsene schnellstmöglich in Städten und Kommunen ankommen können. Hierzu ist eine Änderung von § 47 AsylG notwendig.
– Die neue Bundesregierung muss für qualitativ hochwertige Asylverfahren einschließlich unabhängiger Unterstützung und Rechts- und Verfahrensberatung sorgen.
– AnkER-Zentren und funktionsgleiche Einrichtungen müssen abgeschafft werden.
– Enge, Lärm, kein Platz zum Spielen und Lernen, Miterleben von Gewalt und Abschiebungen – darunter leiden viele Kinder auch in Gemeinschaftsunterkünften. Die Unterbringung in Wohnungen muss daher Vorrang vor der Unterbringung in Sammelunterkünften haben. § 53 AsylG muss entsprechend geändert werden.
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., T. 0431-55685640, public@frsh.de
Unterzeichnende Organisationen:
Flüchtlingsbeauftragte des Ev. Luth. Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg • Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. • Kindercafé Kiel • lifeline-Vormundschaftsverein für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Schleswig-Holstein e.V. • Lübecker Flüchtlingsforum e.V. • Medibüro Kiel e.V. • Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten Schleswig-Holstein e.V.