Am 01.05.2020 veröffentlichete der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Geflüchtete (BumF) einen offenen Brief an das Bundesministerium des Innern. Hauptanliegen des BumF ist die Gefährdung junger Geflüchteter durch Alltagsrassismen und die Bedrohung durch die rechtsextreme Szene. lifeline unterstützt diese Aktion und bittet um weitere Verbreitung des Briefes.
Hier gibt es das Dokument als pdf.
OFFENER BRIEF
Junge Geflüchtete sind Alltagsrassismen und der rechten Szene ausgeliefert.
Sehr geehrte*r Dr. Franziska Giffey,
der Bundesfachverband umF weist auf eine Spaltung zwischen den Rechten geflüchteter Kinder und der Umsetzung der Übereinkommen der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) in Deutschland hin.
Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragten in Jahr 2019 insgesamt 71.421 Kinder erstmalig Asyl in Deutschland. Obgleich dies einen deutlichen Rückgang im Verhältnis zu den 137.47 9minderjährigen Antragstellenden in 2015 zeigt, liegt es unbestritten in der weitführenden Verantwortung des Staates, Sicherheit und Wohlergehen jedes Einzelnen zu gewährleisten.
Viele Minderjährige sind mit ihren Familien in Stadtvierteln, Dörfern und Städten untergebracht, die als Hochburgen des Rechtsextremismus bekannt sind. Viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen und unabhängige Beratungsstellen beschreiben diese Orte als Rückzugsorte von Netzwerken vieler rechtsextremer Menschen. (VDK, 2017)
Am 7. April 2020 wurde Arkan Hussein Khalaf in Celle, Niedersachsen, von einem Weißen deutschen Mann ermordet.Laut Recherchen der Zeitung “Die Zeit” soll dieser Verbindungen zu rechtsextremen Verschwörungstheorien gehabt haben. Es ist erschreckend, dass die Ermordung eines Kindes notwendig ist, um uns als Gesellschaft daran zu erinnern, dass wir noch viel zu tun haben, um die grundlegenden strukturellen und institutionellen Probleme des Rassismus, des Rechtsextremismus und der Kinderfeindlichkeit anzugehen. Dass eine solche Tat ohne die entsprechende Berichterstattung der deutschen Mainstream-Medien geschieht, ist beschämend.
Arkan Hussein Khalaf hat, wie jedes Kind, unabhängig von seiner Herkunft oder seiner ethnischen Zugehörigkeit, das inhärente Recht auf Leben. Als Vertragsstaat hat Deutschland sich verpflichtet, so weit wie möglich für das Überleben und die Entwicklung aller Kinder in Deutschland zu sorgen. Khalaf war ein 15-jähriges Kind, seine Zukunft vor sich, jetzt ist der tot.
Bundesweit verfestigen sich Strukturen der rechten Szene vermehrt in der Öffentlichkeit, was sich unter anderem in Alltagsrassismen zeigt. “Dem Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit wurden im Jahr 2019 insgesamt 265 Vorfälle gemeldet, das ist ein Anstieg von 50,6 % zum Vorjahr (2018: 176), und über 100 % zu den Jahren 2016 und 2017 (2017: 115) (2016: 110). Im Bereich Sozialer Nahraum verzeichnet die Dokumentationsstelle kontinuierlich die meisten Vorfälle.” (Inssan e.V., 2020) Auch die Hauptstadt sah sich im letzten Jahr mit einem deutlichen Anstieg an rechter Gewalt im Vergleich zum Vorjahr konfrontiert, so dokumentiert die Opferberatungsstelle Reachout. Zudem werden Rassismus und rassistische Angriffe weitgehend verharmlost und nicht ausreichend durch den Staat untersucht.
Junge Geflüchtete sindAlltagsrassismen und der rechten Szene ausgeliefert.(BumF e.V.,2018)Das Recht auf Schutz eines Kindes wird daher nicht konform der KRK gewährleistet.
Der Bundesfachverband umF weist darauf hin, dass im Sinne der KRK, alle Kinder das Recht haben, ein unversehrtes Leben zu genießen, frei von Gewalt, Rassismus, Kinderfeindlichkeit, sowie frei von allen staatliche Maßnahmen, die den Rechten der Kinder widersprechen. Innerhalb dieses Verständnisses hätte der Mord an Arkan Hussein Khalaf verhindert werden müssen.
Entsprechend der gemeinsamen Presseerklärungder Staatsanwaltschaft Lüneburg und des Polizeipräsidiums Celle wurde “dem Mann vorgeworfen, gestern Abend einen 15-Jährigen aus Celle offenbar grundlos mit einem Messer niedergestochen zu haben, als dieser zufällig auf seinem Fahrrad in der Bahnhofstraße an dem Beschuldigten vorbeigefahren war (…) Die bisherigen Ermittlungen lieferten in keiner Hinsicht Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche oder politisch motivierte Tat”.
Deutschland hat eine lange Geschichte der Fehlcharakterisierung von rassistischen Angriffen, die zuletzt im Beispiel Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe (NSU) eine 10-jährige Mordserie zugelassen hat. Der Mythos des Einzeltäters ist verjährt. Neben jeder einzelnen Person, die sich erhebt, um einem geflüchteten Kind Schaden zuzufügen, steht eine Kultur des Wegschauens sowie der verpassten Chance zur Intervention und zum Handeln.
Der Bundesfachverband umF versteht den Mord an Arkan Hussein Khalaf, im Gegensatz zu der Staatsanwaltschaft Lüneburg und des Polizeipräsidiums Celle, nicht als “grundlos”. Wir fordern eine Untersuchung aller angeblich rechts-extremen und rassistischen Motivationen des Täters ein. In Übereinstimmung mit der englischen Fassung der KRK, verlangt der Bundesfachverband gemäß Artikel 4, eine umfassende, lückenlose und unabhängige Aufklärung des Mordes von Arkan Hussein Khalaf mit internationaler Beaufsichtigung.
Zudem fordern wir strukturelle Finanzmittel für die Aufklärungs-und Anti-Rassismus-Arbeit von Migrant*innen-Selbstorganisationen sowie für zivilgesellschaftliche Organisationen für und von Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Wir fordern ein bundesweites Programm zur Prävention von Gewalt gegen geflüchtete Kinder und Jugendliche. Nicht zuletzt fordert der Bundesfachverband umF geeignete Unterbringungsorte für unbegleitete und begleitete Kinder und Jugendliche sowie ihren Familien.
Wir bedanken uns, dass Sie die Ernsthaftigkeit der Situation wahrnehmen. Wir freuen uns um Zusendung eines zeitnahen Termins, um notwenige Schritte zum Erreichen dieser Forderungen gemeinsam zu erörtern.
Mit freundlichen Grüßen,
Der Bundesfachverband umF