Liebe Freund*innen, Unterstützer*innen und Interessierte an der lifeline Arbeit,
in diesem Rahmen soll ein Thema zur Sprache gebracht werden, welches zweifellos zu den belastendsten im Bereich der Flüchtlingshilfe in Schleswig-Holstein gehören dürfte, die Abschiebehaftvollzugseinrichtung in Glückstadt.
Gab es zur rechtlichen Grundlage, dem sogenannten „Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein“ noch eine Vielzahl an Stellungnahmen seitens der Wohlfahrtsverbände und flüchtlingssolidarischen Organisationen, kehrte nach dem Inkrafttreten des Gesetzes im April 2019 in weiten Teilen Ruhe, ja fast schon Resignation, ein. Durch das Gesetz und den Umbau der ehemaligen Kaserne in Glückstadt trifft das Land Schleswig-Holstein Maßnahmen, die es in Zukunft ermöglichen werden, ganze Familien in Abschiebehaft zu nehmen. Die bisherige Praxis, bei einer gesamten vollziehbar ausreisepflichtigen Familie lediglich einzelne, erwachsene Familienmitglieder zu inhaftieren, wird damit aufgegeben. Bereits diese Vorgehensweise stieß und stößt auf heftige Kritik, auch von uns.
Nach Inbetriebnahme der Abschiebehafteinrichtung wird die Möglichkeit bestehen, auch bei Kindern den schwerwiegendsten Eingriff des Staates in die Grundrechte vorzunehmen, den Freiheitsentzug. Inwiefern Unbegleitete Minderjährige in Glückstadt inhaftiert werden, lässt sich aktuell schwer abschätzen. In Schleswig-Holstein sind bisher keine Fälle von abgeschobenen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten bekannt. Da die Haftanstalt auch von den Ländern Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern genutzt werden soll, erfragten wir beim Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern, inwiefern eine Inhaftierung Minderjähriger zur Durchführung einer Abschiebung denkbar wäre. Die ehrenamtliche Geschäftsführerin Frau Seemann-Katz äußerte, dass auch ihr keine solchen Fälle bekannt seien. In Anbetracht der fortlaufenden Verschärfungen in allen Bereichen des Asylrechts, schließt sie Inhaftierungen Minderjähriger für die Zukunft aber nicht aus. Vom Flüchtlingsrat Hamburg stand leider niemand für ein Gespräch zur Verfügung.
Um dem Thema Abschiebegefängnis Glückstadt konkret ein wenig näher zu kommen, befragten wir Heiko Naß, Landespastor im Diakonischen Werk des Landesverbandes Schleswig-Holstein.
Herr Naß äußerte klar, dass die Diakonie die geplante Abschiebehafteinrichtung grundsätzlich ablehnt. Er betonte zunächst, dass die ablehnende Haltung nicht auf einem erhobenen moralischen Zeigefinger beruhe, sondern auf den Erfahrungen, die mit der Hafteinrichtung in Rendsburg gesammelt wurden.
Herr Naß machte deutlich, dass er das Mittel des Freiheitsentzuges zur Durchführung einer Abschiebung als nicht angemessen betrachtet. Es werden Menschen inhaftiert und eines Teils ihrer Grundrechte beraubt, die lediglich ein Menschenrecht ausüben, das Recht auf Asyl. Weiterhin erklärte Herr Naß, dass im Falle der Abschiebehaft auch die ethische Einordnung eine wichtige Rolle spielt. Mit der Inhaftierung werden Geflüchtete mit Straftätern*innen gleichgestellt, die aufgrund eines strafrechtlichen Vergehens mit einer Freiheitsstrafe belegt wurden. Das Vergehen der Geflüchteten besteht jedoch allein darin, dass sie sich einem Verwaltungsakt widersetzen bzw. nicht an der Rückführung in ihren Herkunftsstaat mitwirken. Unter ethischen Gesichtspunkten erscheint das Mittel des Freiheitsentzuges in diesen Fällen als völlig unverhältnismäßig. Nach Ansicht der Diakonie sind bspw. Beratungen zur freiwilligen Rückkehr ins Heimatland wesentlich erfolgversprechender.
Ferner bedauere die Diakonie, dass noch kurzfristig Regelungen zur Fixierung bei Fremd- und Selbstgefährdung Aufnahme in das „Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft“ gefunden haben. Der Gesetzgeber räumt damit ein, dass der psychische Druck für die Inhaftierten extrem sein wird. Entsprechend sind Voraussetzungen zu treffen, die es ermöglichen, Inhaftierte bei Eigen- und Fremdgefährdung unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben zu fixieren.
Auf die gesonderten Anforderungen an das Personal in einer Abschiebehafteinrichtung reagierte das Land mit einem neu entworfenen Ausbildungsgang. In der Ausbildung zum „Abschiebehaftvollzugsbeamten“ finden sich Module speziell im Hinblick auf Geflüchtete, bspw. Module zur Suchtprävention und interkulturellen Kompetenz. Die Ausbildung selbst dauert dabei lediglich zwei Jahre, wobei der theoretische Anteil bei acht Monaten liegt. Dies lässt Herrn Naß stark bezweifeln, dass die inhaftierten Menschen die notwendige Versorgung sowohl im physischen wie auch im psychischen Bereich erhalten werden. Erwartbar wird dieser Umstand dazu führen, dass die Belastung auf Seiten aller Beteiligten immens sein wird. Aktuell gibt es zwar seitens der Landesregierung den Willen, Seelsorgern*innen den Zugang sowohl zu Inhaftierten als auch zu Bediensteten zu ermöglichen. In welchem Umfang dies zugelassen werden soll, ist allerdings noch unklar.
Da sich am Willen der Landesregierung, die Haftanstalt einzurichten und in Betrieb zu nehmen wohl absehbar nichts verändern wird, stellt sich die Frage, inwiefern es Möglichkeiten gibt, die Inhaftierten zu unterstützen. Herr Naß berichtete, dass sich seitens der Glückstädter Kirchgemeinde ein Besuchsdienst im Aufbau befindet. Interessierte mögen sich im Falle des Unterstützungswunsches für die Inhaftierten direkt mit der Kirchengemeinde Glückstadt in Verbindung setzen. Hierüber in den direkten und persönlichen Kontakt zu den Häftlingen zu kommen, wird vermutlich der einfachste Weg sein.
Das Gesetz über den Abschiebevollzug sieht die Einrichtung eines Beirates vor. Aus welchen Personen sich dieser Beirat zusammensetzt und welche Befugnisse er inne haben wird, befindet sich aktuell noch in der Diskussion. Wünschenswert wäre, so Herr Naß, dass dieser Beirat eine ähnliche unabhängige Kontrollfunktion bekommt, wie es in der ehemaligen Abschiebehafteinrichtung in Rendsburg der Fall war. Damit verbunden ist gleichzeitig die Hoffnung, für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Beirates mit der Anstaltsleitung, wie zuvor in Rendsburg.
Sehr deutlich forderte Herr Naß die Einrichtung einer unabhängigen Verfahrensberatung in der Anstalt selbst. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Inhaftierten ihre Rechtsmittel umfänglich ausschöpfen können. Inwiefern diese Forderung tatsächlich umgesetzt wird, lässt sich aktuell nicht vorher sagen. Nach der Übernahme der „unabhängigen“ Verfahrensberatung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) in den „AnkER-Zentren“ (und auch u.a. in der Landesunterkunft in Boostedt) lässt sich allerdings nur schwer eine positive Hoffnung dazu formulieren.
Zum Abschluss des Gesprächs kamen wir auf die häufig, von der Landesregierung, betonte Notwendigkeit für die Einrichtung einer Abschiebehaftanstalt in Schleswig-Holstein zu sprechen. Immer wieder wird seitens der Landesregierung darauf hingewiesen, dass es Druck seitens des Bundes gäbe, solch eine Einrichtung aufzubauen. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass die Bundesregierung, namentlich das Bundesministerium des Inneren, die Landesregierungen zwar dazu drängt, Abschiebehafteinrichtungen aufzubauen, von Verpflichtung ist in diesen Aufforderungen jedoch keine Rede. Umso stärker erscheint der Eindruck, dass in diesem Falle das Schicksal von Menschen instrumentalisiert wird, um das Bild des handlungs- und durchsetzungsfähigen Staates zu präsentieren und damit letztendlich vor den Scharfmachern des rechten Randes einzuknicken. In einer emotional extrem aufgeladenen Diskussion werden Geflüchtete noch stärker kriminalisiert und mit straffälligen Menschen auf eine Stufe gestellt. Und dies allein aufgrund des Ausübens eines Menschenrechts. Die Äußerungen des Innenministers Grote, nach denen die Hafteinrichtung nach dem Grundsatz „Wohnen minus Freiheit“ geführt werden soll, mutet vor den benannten Hintergründen nicht nur euphemistisch sondern eher stark zynisch an.
Wie die Diakonie fordert lifeline das Ende der Bestrebungen und Maßnahmen, die zur Einrichtung einer Haftanstalt für ausreisepflichtige Geflüchtete führen. Flucht ist ein Menschenrecht und das Suchen und Bitten um Asyl darf nicht mit dem Begehen von schweren Straftaten gleichgesetzt werden. Das Mittel des Freiheitsentzuges stellt den schwersten denkbaren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines jeden Menschen dar. Diesen dazu zu nutzen, um einen stockenden Verwaltungsakt durchzusetzen, halten wir für unmenschlich, unverhältnismäßig und eines modernen Rechtsstaates für unwürdig.
Herzliche Grüße im Namen des lifeline-Vorstands und -Teams
Konrad Paul